Bettina Wettstein hat im Rahmen
ihres Studiums im Sommersemester 2003 an der
Universität Karlsruhe eine Arbeit für das
Hauptseminar zum Thema "Erinnerungsorte"
verfasst:
Erinnerungsort Baden-Baden mit
Blick auf die Lichtentaler Allee
1. Einleitung
"Wasser, das aus den Bergen kommt, sucht sich immer
den bequemsten Weg, und die Menschen lernen davon.
Vielleicht ist so der paradiesische Baumpark
entstanden, der eine Straße begleitet, die
Lichtentaler Allee heißt. Allee, das kommt
von dem französischen Verbum für Gehen.
Überall geht man durch eine Allee irgendwo
hin. Hier aber sagst du: "Ich gehe in die Allee."
Hier gehst du hinein in die Allee, so wie man in
ein Theater hineingeht." (Bischoff 1996)
Tatsächlich gibt diese Allee
zu allen Jahreszeiten kurzweilige Vorstellungen in
voller Besetzung, Wetter inbegriffen. Das
freundliche Spiel hat sechs Akte. Deren Tonart und
Temperament werden jeweils von Bäumen
vergeben. Der Reihenfolge nach sind es Linden,
Eichen, Tulpenbäume, Kastanien, Platanen und
Erlen.
Der Aufmarsch dieser in Reih und Glied stehenden
Alleebäume, die hier zu Hunderten den Weg
säumen, erfolgt seit 1655 durch den badischen
Kammerherren Moritz von Lassolaye, wahrscheinlich
schon länger. Zwischen 1850 und 1870 wurde sie
auf Betreiben des Spielbankpächters
Bénazet in einen großen
Landschaftspark umgewandelt.
Die Lichtentaler Allee vermittelt ungebrochen
über die Jahrzehnte hinweg den Reiz einer
Zeit, die tief in das Erinnern eingetaucht ist und,
von so manchen Affären geheimnisvoll
umwittert, im Erzählgut erhalten geblieben
ist.
2. Was die Lichtentaler Allee so
alles erlebt hat
Die Queen Victoria und der Prince of Wales
kutschierten mit ihrem Gefolge durch die
Lichtentaler Allee. Exotische Persönlichkeiten
belebten die Kurpromenade, der Schah Nassr ed din von
Persien,
der König von Siam, der Kaiser von Brasilien,
Ismail Pascha von Ägypten, der Sultan von
Johore, Maharadschas und Prinzessinnen. Skandale
sorgten für Aufregung ebenso wie
Kriminalfälle, etwa der Erbschaftsstreit des
Fürsten Stourdza oder der von Rätseln
umwitterte Tod des Fürsten Gortschakow. Das
andere Leben spielte sich bei Blumenkorsos durch
die Allee ab.
2.1. Felix MENDELSSOHN BARTHOLDY (1809-1847)
Felix Mendelssohn Bartholdy hatte während
einer Semesterferien-Wanderung im September 1827
der Kurstadt einen Besuch abgestattet und im Hotel
"Zur Sonne" gewohnt. Überliefert ist aus
diesen Tagen ein improvisierter musikalischer
Auftritt des jungen Mendelssohn Bartholdy im
Konversationshaus. Dieser Auftritt zog viele
begeisterte Zuhörer an. Das brachte den
Spielbankpächter dazu, das Klavier entfernen
zu lassen, da das exzellente Spiel des jungen
Künstlers zu viele Menschen von den
Rouletttischen weggelockt hatte.
2.2. Nikolaj Wassiljewitsch GOGOL (1809-1852)
Gogol kam ab 1836 öfter nach Baden-Baden. Im
Unterschied zu seinen schreibenden
Landsmännern hoffte er nicht auf den Gewinn
beim Roulette, sondern auf den Verlust seiner
Hämorriden und flanierte auch leidenschaftlich
gerne nach der Behandlung durch die Allee.
2.3. AUGUSTA und WILHELM von Preußen
(1811-1890)
1829 heiratete Augusta von Sachsen-Weimar den
preußischen Prinzen Wilhelm. Das Paar hatte
zwei Kinder, Friedrich und Luise, die 1856 den
badischen Großherzog Friedrich I. heiratete.
Zu diesem Zeitpunkt war das preußische
Prinzenpaar bereits regelmäßig zu Gast
in Baden-Baden. 1850 war Augusta von Preußen
schon oft zur Kur angereist. Prinz Wilhelm hatte
den Reiz der Stadt ein Jahr zuvor entdeckt, als er
die badische Revolution blutig niedergeschlagen
hatte und von Schloss Favorite nach Baden umgezogen
war. Ihr Verhältnis zu Baden und zum "Maison
Messmer", in dem sie immer zu wohnten, blieb
ungebrochen, obwohl sich die Stadt zu einem
mondänen Weltbad entwickelt hatte und die
deutsche Kaiserin an Protz und Prunk noch nie
Gefallen gefunden hatte. Sie erfreute sich an der
Schönheit der Lichtentaler Allee und am
reichen kulturellen Leben. Das Paar sah man oft bei
Spaziergängen durch die Allee auf dem Weg in
den "Bären" in Lichtental, wo sie häufig
frühstückten.
Am 14. Juli 1861 wurde König Wilhelm kurz vor
dem Hirtenhäuschen in der Lichtentaler Allee
von Oscar Becker angeschossen. Er überlebte
das Attentat jedoch leicht verletzt. Heute erinnert
man sich an Augusta in Zusammenhang mit dem Bau des
Gebäudes für die Sammlung Frieder Burda,
da ihre Büste neben der Kunsthalle in der
Allee um einige Meter versetzt werden musste.
2.4. VICTORIA, Königin von England und Irland,
Kaiserin von Indien (1819-1901)
Queen Victoria hatte eine Halbschwester namens
Feodora aus der ersten Ehe ihrer Mutter. Sie war in
den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts nach
Baden-Baden gezogen und wohnte in der Villa
Hohenlohe am Michaelsberg. Deshalb hielt sich Queen
Victoria mehrmals, teilweise auch länger in
der Kurstadt auf. Im März 1972 stattete Queen
Victoria ihrer Schwester erstmals einen rein
privaten Besuch in Baden-Baden unter dem Pseudonym
einer Herzogin von Kent ab. Bei zahlreichen
Spaziergängen mit ihrem Hund, einem Dackel,
lernte Queen Victoria die Lichtentaler Allee kennen
und lieben. Eine großzügige Spende
für die englische Kirche, mit deren Bau 1864
begonnen worden war, zeigte die englische
Königin auch als Wohltäterin ihrer
Untertanen, die sich in Baden-Baden niedergelassen
hatten. Nach dem Tod ihrer Schwester erwarb Queen
Victoria die Villa Hohenlohe und verweilte dort
einige Zeit. Sie verkaufte das Haus jedoch bald
darauf wieder.
2.5. Fjodor Michailowitsch DOSTOJEWSKIJ
(1821-1881)
Fjodor Michailowitsch Dostojewskij besuchte 1863
zum ersten Mal Baden-Baden. Sein beliebtester
Aufenthaltsort war die Spielbank. "Hier gewinnt man
100000 Francs und amüsiert sich noch dabei",
berichtete er zu Beginn seines Aufenthalts. Doch
bald verlor er alles und dazu noch seine
Lebensgefährtin Polina Suslova. Polina litt
sehr unter seiner Spielsucht und trennte sich
deshalb von ihm. Verzweifelt lief Dostojewski in
der Allee umher. In ihrem Tagebuch schreibt Polina:
"Jetzt warte ich jeden Augenblick, dass er kommt
und sagt, er habe alles verspielt. Dann werden wir
wieder Kleider und Paletot verpfänden. Ach wie
mir das alles zuwider ist." Danach kehrte
Dostojewski nach Russland zurück, wo er seine
Erlebnisse im weltberühmten Roman "Der
Spieler" verarbeitete. Diesen Roman diktierte er
der jungen Stenotypistin Anna Grigorjewna Snitkina.
Er verliebte sich in sie und heiratete sie. 1867
besuchte er mit ihr auf der Hochzeitsreise wieder
Europa. Tatsächlich war er aber auf der Flucht
vor seinen Gläubigern. Die beiden wohnten in
Baden-Baden in einer kleinen Wohnung in der
Bäderstraße 2. Als wieder alles Geld
verspielt war, verließen Anna und Fjodor
Baden-Baden fluchtartig. Bald darauf beendete
Dostojewski seinen Lebenswandel, sagte sich vom
Spiel los und übernahm Verantwortung für
seine Familie. Er schrieb seine weltbekannten
Romane wie "Schuld und Sühne" und "Der Idiot".
Am Dostojewski-Haus in der Bäderstraße 2
erinnert eine Büste und einen Gedenktafel
heute an den großen Autor, der Weltliteratur
geschaffen hat.
2.6. Clara SCHUMANN (1819-1896)
Clara Schumann lebte 10 Jahre in Baden-Baden. Von
1863-1873 wohnte sie mit ihrer Familie in
Lichtental, einem heutigen Ortsteil der Kurstadt
Baden-Baden. Sie kaufte sich ein Haus, das nur
durch die Oos von der Lichtentaler Alle getrennt
war. Dort machte sie täglich mehrmals
Spaziergänge, um sich zu erholen und
inspirieren zu lassen. Mit Freunden und Bekannten,
wie Johannes Brahms und Pauline Viardot-Garcia,
organisierte sie Konzerte, die den Ruf Baden-Badens
als Sommerhauptstadt Europas festigten.
2.7. Johannes BRAHMS (1833-1897)
"Nirgends fällt das Leben leichter als hier,
der Streit geht nur um die Jahreszeit, in der
Baden-Baden sich am schönsten gibt." Johannes
Brahms und Clara Schumann waren sehr gute Freunde.
Neben all seinem beruflichen Wirken hielt er stets
Kontakt zu ihr. Anfangs besuchte er sie
regelmäßig. 1865 mietete er sich
ebenfalls in Lichtental eine Wohnung. Bei
zahlreichen Spaziergängen in der Allee
ließ auch er sich inspiriere. Das Haus, in
dem Brahms wohnte ist heute ein Museum. "Manche
glückliche Stunde habe ich da (im Brahmshaus
Baden-Baden) verlebt und manche hübschen Noten
geschrieben, traurig und lustig - was auf das
Glück der Stunden keinen Einfluss hat." in
einem Brief vom Juli 1878 an Otto Dessoff,
Hofkapellmeister in Karlsruhe.
2.8. Pauline VIARDOT-GARCIA (1821-1910)
1863 zog Pauline Viardot mit ihrem Mann, dem
Pariser Theaterdirektor und Kunstschriftsteller
Louis Viardot, und ihren vier Kindern nach
Baden-Baden. Zu einer ihrer Kompositionen
gehört die Operette "Le dernier sorcier", die
1869 von Johannes Brahms im Haus Viardot in
Baden-Baden dirigiert wurde. 1870 übernahm sie
die Sopran-Partien in der Uraufführung der
"Alt-Rhapsodie" von Johannes Brahms. Bis zum
deutsch-französischen Krieg 1870/71
entwickelte sich vom Haus Viardot aus eine
facettenreiche Kunst- und Kulturszene, welche die
Attraktivität der Kurstadt noch
erhöhte.
2.9. Iwan Sergejewitsch TURGENJEW (1818-1883)
Ein weiterer Literat, der kam, um länger zu
bleiben, war Iwan Sergejewitsch Turgenjew. Seine
Liebe galt dabei weniger der Stadt als Pauline
Viardot-Garcia. Durch sie lernte er auch
Baden-Baden kennen und lieben. Gleich bei seinem
ersten Besuch begegnete er Tolstoi, der ihn sofort
um Geld bat, denn er hatte viel im Casino verloren.
Turgenjew ließ für sich in Baden-Baden
eine Villa bauen. Als er 1867 endlich einziehen
konnte, befand er sich jedoch in finanziellen
Schwierigkeiten und musste das Haus an Madame
Viardot verkaufen. Turgenjew genoss hohes Ansehen
in Baden-Baden. Er und sein internationaler
Freundeskreis waren der kulturelle Mittelpunkt der
Stadt. In seinen Roman "Rauch" schildert Turgenjew
nicht nur wunderbar die Landschaft von Baden-Baden,
sondern karikiert die Heuchelei und Verlogenheit
des russischen Adels gnadenlos und schildert seine
Erfahrungen in Baden-Baden.
2.10. Johann STRAUSS (1825-1899)
Die berühmtesten Operetten "Die Fledermaus"
und "Der Zigeunerbaron" von Johann Strauss sind
1874 und 1885 in Baden-Baden uraufgeführt
worden. Bekannt war er jedoch eigentlich dadurch,
dass er bei zahlreichen Spaziergängen in der
Allee immer wieder seine verschiedenen Bärte
präsentierte.
2.11. Mark TWAIN (1835-1910)
1878 war ein Globetrotter aus den Vereinigten
Staaten im Schwarzwald und so auch in Baden-Baden
unterwegs: Mark Twain. In seinem 1880
veröffentlichten Buch "A tramp abroad"
(deutsch 1922: "Bummel durch Europa") hat er
für Baden-Baden und sein Thermalwasser in
einzigartiger Weise geworben. Dennoch stand er
Baden-Baden nicht immer erfreut gegenüber. Er
hielt Baden-Baden für eine geistlose Stadt,
voll von Schein und Schwindel und mickrigem Betrug
und Aufgeblasenheit weshalb er wohl nach seiner
Europareise nicht nur Gutes über die Stadt zu
berichten hatte. "Ich glaube fest daran, dass ich
meinen Rheumatismus in Baden-Baden gelassen habe.
Er steht Baden-Baden gerne zur Verfügung. Es
war wenig, aber mehr hatte ich nicht zu geben. Ich
hätte gerne etwas Ansteckendes
zurückgelassen, aber das lag nicht in meiner
Macht."
2.12. ELISABETH von Österreich (1837-1898)
Eines der eigenwilligsten Mitglieder des
europäischen Hochadels im 19. Jahrhundert, das
weltweit unter dem Kosenamen Sissi bekannt geworden
ist, besuchte die Kurstadt an der Oos im Jahr 1883
für einige Wochen. Sie stieg mit ihrem Gefolge
von 36 Personen im Hotel "Europäischer Hof"
ab. Ihre Abneigung gegenüber höfischem
Leben, ihre Liebe zu Ungarn und ihr eigensinniger,
widerspruchsvoller Charakter sind in einer Vielzahl
Bücher beschrieben worden, ebenso wie ihre
Naturverbundenheit und Tierliebe. Natur pur konnte
die österreichische Kaiserin in Baden-Baden
erleben und genießen. Ansonsten durchstreifte
die Kaiserin die malerische, teilweise noch
winterliche Gegend rund um die Lichtentaler Allee
zu Fuß und zu Pferd und erregte durch ihre
teilweise sehr kühnen Ausritte, die sie
häufig allein unternahm, beträchtliches
Ansehen. Zuweilen wanderte Elisabeth von
Österreich auch in geselliger Runde, wie z.B.
am 22. April 1833, als sie mit ihrem Gefolge zum
Mittagessen im "Gasthaus auf dem Sand" eintraf,
oder einige Tage später, als sie mit
Schwester, Tochter und Nichte nach einem Marsch zum
Korbmattfelsen in der Molkenanstalt einkehrte.
2.13. Der 1. Weltkrieg (1914-1919)
Im ersten Weltkrieg zogen Soldaten durch die Allee.
Sie ahnten noch nichts davon, dass nach dem Krieg
Arbeitslose die Randsteine säumen werden. Sie
hätten sich dadurch gewiss auch nicht so
gestört gefühlt wie der Adel
seinerzeits.
2.14. Elefantenwanderung
Wenn der Zirkus kam, galt der Allee in den 1920er
Jahren besonderes Interesse. Viele Schausteller
zogen mit den Zirkuselefanten durch die Allee zum
stadtnahen Vergnügungszentrum, auf dem nicht
nur in jedem Sommer die Zirkuszelte aufgebaut
waren.
2.15. Kinderfrühlingsfeste
Eigentlich waren die Baden-Badener
Kinderfrühlingsfeste ein Brauch der
Stadtbewohner. Wenn aber im Juni alle
möglichen Kindergruppen, bunt gekleidet, in
Fußgruppen oder auf blumengeschmückten
Festwagen durch die Lichtentaler Allee zogen, dann
hielten sich auch meist viele Gäste an den
Rändern auf. Die bunten Umzüge, bei denen
außer in den Musikkapellen nur Kinder
mitwirkten, waren ein ganz besonderer Baden-Badener
Brauch. Bei vielen, die sie erlebt haben, sind sie
genauso unvergessen wie die einst
durchgeführten Alleebeleuchtungen.
2.16. Brenner's Hotel Stephanie
Brenner's Hotel Stephanie an der Lichtentaler Allee
war in den 1920er Jahren nicht nur das erste Haus
am Platz, es zählte auch zu den zehn
wichtigsten Hotels Europas. Das Hotel prägte
den gesamten Abschnitt des Oosufers an der
Lichtentaler Allee zwischen Theater und den
Tennisplätzen. Die Gäste kamen
überwiegend aus dem Ausland. In der
Hauptsaison zwischen Juli und September
beherrschten die Amerikaner das Brenners fast
alleine. Die Stephanie wurde 1963 abgerissen.
2.17. Robert STOLZ (1880-1975)
Robert Stolz war oft zu Besuch in Baden-Baden. Er
liebte es, in der Lichtentaler Allee zu flanieren,
um sich durch die traumhafte Umgebung in-spirieren
zu lassen. Hier entstand auch das bekannte
Volkslied "Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde".
Stolz notierte Noten dazu auf einem kleinen Blatt
Papier. Die Stadt Baden-Baden würdigte den
Komponisten, indem sie ihm ein Denkmal in der
Lichtentaler Allee errichten ließ, das genau
an der Stelle zu finden ist, wo Robert Stolz seine
Eingebung zu diesem populären Volkslied hatte.
Als Stolz älter und gebrechlicher wurde,
ließ er, wenn er Konzerte dirigierte, ein
zusätzliches Schutzgitter am Dirigentenpult
hinter sich anbringen, damit er nicht aus Versehen
herunterfiel.
2.18. Otto FLAKE (1880-1963)
Zahlreiche Reisen durch Europa führten Otto
Flake im Jahr 1928 nach Baden-Baden, wo er fortan
mit seiner Familie lebte. "Merkwürdig ist,
dass noch kein Schriftsteller die große Zeit
Badens (1845-1869) für einen Roman
verschwendet hat" schrieb Otto Flake im Vorwort zu
seinem Roman "Hortense oder die Rückkehr nach
Baden-Baden", der 1933 veröffentlicht wurde.
Tatsächlich ist es ihm gelungen, in diesem
Roman das Flair der Blütezeit des Kurorts im
19. Jahrhundert meisterlich wiederzugeben. Am 10.
November 1963 starb Otto Flake in Baden-Baden. Sein
Nachlass ist in der Stadtbibliothek der Kurstadt
interessierten Lesern zugänglich.
2.19. Der 2. Weltkrieg (1939-1945)
Eine Kugel trifft Baden-Baden aus versehen. Gewiss
war sie nicht für das schmucke Städtchen
bestimmt, da die Franzosen sich den Ort bereits als
Hauptsitz ihrer Besatzungsmacht ausgesucht hatten.
Aus diesem Grund blieb auch die Allee unversehrt.
Fünf Jahre nach dem 2. Weltkrieg wird auch
schon die erste Schönheitskönigin des
Nachkriegsdeutschlands in einer Kutsche durch die
Allee gefahren.
2.20. Heinrich BERL (1896-1953)
Heinrich Berl vergleicht in seinen Aufzeichnungen
"Das Badener Tagebuch" die Lichtentaler Allee mit
Berlins Unter den Linden und der Ludwigsstrasse in
München. Für ihn gilt die Lichtentaler
Allee mit Recht als das Parkett Europas. "Hier war
1861 das Attentat auf den König von
Preußen: Hier sah man täglich die
Schimmeltroika Menschikows, den Hammelweiß
mit seinen Böcken, den Schlappengrafen mit der
Lichtputz, die Gräfin Bose, immer kauend und
Gemüse putzend, die parsische Fürstin mit
Männerharem, den alten russischen
Staatskanzler Gortschakow am Arm seiner Maitresse,
den Prinzen von Wales auf dem Tennislatz mit
schönen Frauen. Hier sah man die glanzvollen
Viererzüge, die Blumenkorsi, die
berühmten Reiter und Jockeys, unter dem "arbre
russe" die von Turgeniew in seinem Roman "Dunst"
geschilderte russische Gesellschaft, bei den
Boutiquen den ganzen Gotha des europäischen
Adels." (Berl 1936) Berl vertritt die Meinung, dass die
Lichtentaler Allee sehr wohl einen Vergleich mit
den Champs Elysées aushält.
2.21. Reinhold SCHNEIDER (1903-1958)
Das wechselvolle Leben Rheinhold Schneiders begann
am 13. Mai 1903 in der Kurstadt Baden. Die Eltern
führten das renommierte Hotel Messmer, in dem
das deutsche Kaiserpaar Augusta und Wilhelm I.
jahrzehntelang während seiner
regelmäßigen Aufenthalte in Baden
wohnte. Da er mit der Tochter des Gründers des
Brenner's Hotel befreundet war, kannte er sich in
der Lichtentaler Allee besonders gut aus, denn der
kürzeste Weg zur ihr führte durch die
Allee. Während des 1. Weltkrieges geriet die
Familie in finanzielle Schwierigkeiten und musste
das Hotel schließen. Als 1957 das Hotel
Messmer abgerissen wurde, setzte Rheinhold
Schneider in der autobiographischen Skizze "Der
Balkon" dem Haus und der Kurstadt Baden-Baden ein
Denkmal. "Liebes altes Haus, keinen Protest, es ist
ganz in der Ordnung, dass du abgerissen wirst."
(Schneider 1957) Seine persönlichen
Erinnerungen verweben sich mit der Geschichte der
traditionsreichen europäischen Bäderstadt
und ihrer Persönlichkeiten. Sie alle treffen
sich in den verschiedenen Labyrinthen des Hotels.
Am 6. April 1958 starb Reinhold Schneider an den
Folgen eines Unfalls in Freiburg. Er wurde im
Familiengrab in Baden-Baden zur letzten Ruhe
gebettet.
2.22. Heute
Das Weltkulturerbe
Zu Zeiten des Oberbürgermeisters Wendt [1990 -
1998, Anm. der Red.] versuchte die Stadt
Baden-Baden, die Lichtentaler Allee in das
Weltkulturerbe aufnehmen zu lassen. Die
Anstrengungen scheiterten aufgrund der finanziellen
Möglichkeiten der Stadt.
Primadonna
Primadonna erzählt die Geschichte des
märchenhaften Aufstiegs der Sängerin
Carlotta Vogt zu einer Primadonna allerersten
Ranges und eine Dreiecksgeschichte der besonderen
Art. Baden-Baden in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Hier trifft sich alles, was in der Welt Rag und
Namen hat, und hier beginnt auch Carlottas
Ausbildung bei Pauline Viardot-Garcia. Deren
Romanze mit Turgenjew bildet den Hintergrund und
auch einen der zentralen Konflikte des Romans:
Carlotta will Turgenjews Herz erobern... Vor dem
Leser wird das Panorama der unvergleichlichen Jahre
zwischen der Revolution von 1848 und der
Reichsgründung von 1871 ausgebreitet. Mit
Leichtigkeit und zartem Humor erzählt Hans
Dieter Schreeb von den Möglichkeiten und
Grenzen der Liebe, von einer uns fern gewordenen
Welt und von der wunderschönen Parklandschaft
Baden-Badens.
Auch heute ist die Allee, und alles was in ihr
vorgefallen ist, noch Anreiz zur Fantasie und zur
Inspiration von literarischen Werken.
Öffentliche
Flohmärkte
Wenn die Tage wärmer werden,
finden in der Allee an manchen Samstagen
öffentliche Flohmärkte der Bürger
statt.
Pferdekutschen
Auch heute kann man sich noch, wenn
Lust, Zeit und Geld vorhanden sind, mit einer der
Zweispänner-Kutschen durch die Allee
kutschieren lassen. Ein Erlebnis, das auf jeden
Fall eine Erfahrung wert ist.
Das Oldtimer-Meeting
Nostalgie und Flair sind zwei von
vielen Gründen, die An einem Wochenende im
August jedes Jahr Tausende von Menschen über
das automobile Freilichtmuseum flanieren lassen.
Unbezahlbare Bugattis stehen dann neben
Brezelkäfern, imposante amerikanische
Cadillacs neben winzigen Isettas. Seit nun mehr 25
Jahren veranstaltet Jean-Marc Culas das
Baden-Badener Oldtimer-Meeting. War letztes Jahr
Ferrari die "Ehrengast-Marke", so sind es dieses
Jahr am 23. und 24. August Bentley und Rolls Royce.
Um die 300 Fahrzeuge verteilen sich jährlich
in Kurgarten und Allee. Mehr Autos lassen die
Zuschauermengenleider nicht zu. Ein Interesse, das
auch viel über den Stellenwert des Meetings
bei den Oldtimer-Begeisterten aussagt. Es gibt in
Europa vier wichtige treffen: Paris, Monte Carlo,
Wiesbaden und Baden-Baden.
25 Jahre Ferrari-Club
Deutschland
Im Jahr 2003 stand die Lichtentaler
Allee vor einem besonderen Ereignis: Vom 10. bis
13. Juli feierte der Ferrari-Club Deutschland sein
25-jähriges Bestehen in Baden-Baden. An diesem
Wochenende kamen rund 400 historische und aktuelle
Ferraris aus ganz Europa in die Kurstadt. Die edlen
Fahrzeuge wurden beim Jubiläumstreffen im
Kurpark und der Kaiserallee aufgestellt.
3. Abschluss
Warum verdient die Lichtentaler Allee mehr als
ungeteilte Bewunderung? Vielleicht, weil dieses
Stück Baden-Baden auf die Eindeutigkeit
verzichtet und mit seinen Zwischentönen reizt.
Die Allee als englische Gartenkunst? Nein. Denn mit
den genauen Abständen der
Straßenbäume voneinander und den
Parallelen der Baumreihen hat das Englische nichts
im Sinn. Andererseits folgt die Allee aber auch
nicht der Komposition des Absolutismus. Nirgendwo
führt sie wie ein doppeltes Spalier aus
Bäumen auf ein Schloss zu, auf eine Kathedrale
oder auf das Herrenhaus eines Ritterguts. Die Allee
dient nirgendwo als Zwangsweg der Macht. Sie kommt
aus der Geschichte des Mittelalters als rotgrundige
Fahrstraße daher, und zwar auf der einzigen
und bequemen Strecke, die sich das Gebirgswasser
ausgesucht hat.
War die schnurgerade Eichenallee des Herrn von
Lassolaye nicht eine Idee für diesen Park?
Dienen inzwischen nicht nur der Korso, sondern alle
Wege zwischen Lichtental und dem "Badischen Hof"
der Lust, andere Menschen zu sehen und selbst
gesehen zu werden? Vergleichen und beurteilen
Frauen wie Männer nicht täglich
Hüte, Mäntel, Mode überhaupt, Hunde,
Kinderwagen und schließlich
Glühwürmchen in der Nacht, wenn der Mond
scheint? Dann lässt sich wohl sagen: Die Allee
ist die kurzweiligste Spazierstraße der Welt.
Und nun denken Sie an das französische Wort
"aller" und gehen Sie.
Quellen:
www.bad-bad.de
Baldreit-Museum Baden-Baden
Badisches Tagblatt
Literatur:
Berl, Heinrich: Das Badener Tagebuch. Baden-Baden
1936
Berl, Heinrich: Baden-Baden im Zeitalter der
Romantik. Baden-Baden 1936
Berl, Heinrich: Ergötzliche Geschichten aus
Alt-Baden. Baden-Baden 1966
Bischof, Heinz: Baden-Baden in Ansichtskarten.
Frankfurt am Main 1978
Bischoff, Helmut: Baden-Baden. Köln 1996
Dostojewski, Fjodor Michailowitsch: Schuld und
Sühne
Dostojewski, Fjodor Michailowitsch: Der Idiot
Dostojewski, Fjodor Michailowitsch: Der Spieler
Erhard, Robert: Baden-Baden wie es früher war.
Gundensberg-Gleichen 1998
Flake, Otto: Hortense oder die Rückkehr nach
Baden-Baden. Frankfurt am Main 1984
Landkreis Rastatt/ Stadt Baden-Baden (Hg.): Kunst-
und Kulturdenkmale im Landkreis Rastatt und in
Baden-Baden. Stuttgart 2002
Martin, Peter: Salon Europas. Konstanz 1983
Schneider, Reinhold: Der Balkon. Wiesbaden 1957
Schreeb, Hans Dieter: Primadonna. München
2001
Turgenjew, Iwan Sergejewitsch: Rauch
Twain, Mark: A tramp abroad
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