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Ein vergessener Dichter, mutig und
individuell
Ist
Reinhold Schneider noch aktuell? Der aus
Baden-Baden stammende Dichter sollte neu entdeckt
werden: Hinter der Bezeichnung "christlicher
Schriftsteller" ist seine Weltläufigkeit
vergessen worden, ebenso sein umfassendes
Verständnis vom Leben im Einklang mit der
Schöpfung und seine geradezu störrische
Friedensliebe.
Thomas Mann schrieb zwei Jahre vor seinem Tod, am
18. Dezember 1953 an Reinhold Schneider: "Um Ihre
katholische Basis und Bindung sind Sie zu beneiden.
Mir fehlt diese Geborgenheit, denn mein
Protestantismus ist bloße Kultur, nicht
Religion, und fast überrascht es mich, dass
das Meine in ihrem Leben, vom Frühesten bis
zum Späten, die Rolle spielen konnte, die Sie
andeuten. Es muss eben eine herzliche Liebe zum
Guten, Wahren, Schönen aufkommen für den
Glauben - vielleicht ist sie nicht ein, sondern der
Glaube".
Was Glaube ist, vor allem aber was Glaubenszweifel
sind, hat Reinhold Schneider wohl so deutlich wie
wenige andere erfahren. Nicht nur einmal entfernte
sich der so oft als "Schmerzensmann" empfundene
Dichter aus Baden-Baden von der offiziellen Kirche.
Vor allem in seinen letzten Lebensjahren, als er
vehement gegen die Wiederbewaffnung argumentierte,
fand er sich sehr alleine gelassen von der
Institution Kirche.
Der Nachlass Reinhold Schneiders (1903-1958) wurde
von seiner Alleinerbin Anna Maria Baumgarten 1959
an die Badische Landesbibliothek weitergegeben. Die
konnte in letzter Zeit Fördermittel dafür
verwenden, den Nachlass - Bücher, Briefe und
Manuskripte oft genug auf schlechtem Papier, viele
Fotos, einige persönliche Dinge - für die
Zukunft zu sichern und wo notwendig zu
restaurieren.
Darunter fand sich auch ein Brief von Bertolt
Brecht zum
Thema Wiederbewaffnung, in dem der Dichter 1956 aus
Berlin sinngemäß schreibt, zweimal habe
die Bewaffnung der Deutschen bereits zu Kriegen
geführt in diesem Jahrhundert, ein drittes Mal
sollte dieser Fehler vermieden werden.
Schneider könnte an manchen Stellen seines
Werkes und seiner Briefe geradezu als prophetischer
Schriftsteller ausgelegt werden, so bei
Lektüre seiner Friedensrede, die er 1956 bei
der Überreichung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels gehalten hat. Schon immer war
sein Blick auf die Welt gerichtet, nicht auf ein
einziges Land. Gleichzeitig aber war ihm der
einzelne Mensch wichtig.
In seinen Werken hat er von einzelnen Personen
gesprochen, und doch das Ganze erklärt: Las
Casas, Vater der Indios, bittet um Gerechtigkeit
vor Karl V.- mit diesem Roman um die Eroberung
Amerikas und die Ausrottung der Ureinwohner wagte
Reinhold Schneider auch die Benennung der
Judenverfolgung während der NS-Zeit.
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Die Karlsruher Ausstellung hat
keinen besonderen Schwerpunkt, sondern zeichnet das
Leben des Dichters chronologisch nach: Beginnend
mit Fotos aus dem Baden-Baden um 1900 die vor allem
den Kurbereich und das elterliche Hotel, die
berühmte Maison
Messmer
zeigen, aber auch die Familie Schneider mit dem
lockigen Kind Reinhold.
Erste Schreibversuche, der Weggang von Baden-Baden
und der Neuanfang in Dresden werden gut
dokumentiert. Neben den bekannten Fotografien von
Reinhold Schneider mit seiner Vermieterin Anna
Maria Baumgarten, mit der er sein ganzes weiteres
Leben verbringen wird, gibt es auch eine Aufnahme
mit der Sekretärin Hanna, mit der Schneider
vielleicht gerne ein innigeres Verhältnis
gehabt hätte.
Die Bibliothek ist auch im Besitz eines
Liebesbriefes von Schneider, dessen Adressatin
nicht bekannt ist. Dass er die große Liebe
nie erfahren hat, beklagt er in späten
Gedichten. Seine wohl angeborene Schwermut - Bruder
Willy spricht einmal von selbstzerstörerischen
Zügen - mag das noch verstärkt haben.
Anna Maria Baumgarten wird er in seinem Testament
dankbar als "die Gefährtin meines Lebens"
bezeichnen.
Schneider war ein Reisender und deshalb auch viel
weitläufiger, als man das auf den ersten Blick
vermuten würde. Er hielt sich immer wieder
für längere Zeit in Portugal und Spanien,
in Italien und England auf.
Unter den Autorenkollegen stand er Werner
Bergengruen,
Leopold Ziegler und Jochen Klepper nah. Fotos und
Briefwechsel mit ihnen finden sich auch in dieser
Ausstellung.
Vor allem aber Bücher, Bücher,
Bücher: Schneider hat so vieles geschrieben,
dass uns heute nur die großen Werke noch
geläufig sind. Im Nationalsozialismus waren
seine religiösen, tröstenden Gedichte
eine Form des Widerstands und verdrängten sein
eigentliches Vorhaben, ein weiteres großes
Werk zu schreiben.
Der elsässische Verleger Joseph Rossé
druckte handliche Gedichtsammlungen Schneiders, die
dann tausendfach abgeschrieben und heimlich
verteilt wurden. Das vielleicht bekannteste Gedicht
entstand 1936: "Allein den Betern kann es noch
gelingen/Das Schwert ob unsern Häuptern
aufzuhalten/Und diese Welt den richtenden
Gewalten/Durch ein geheiligt Leben
abzuringen..."
Ob Schneider wegen Hochverrats angeklagt worden
ist, wie man oft lesen kann, scheint noch nicht
erforscht, sagte Babette Stadie, die die
Ausstellung gemeinsam mit Marcus Schröter
verantwortet.
War er während dieser Jahre ein
unverzichtbarer Bestandteil der deutschen
Literatur, so geriet er nach dem Krieg in Konflikt
mit der Politik. Sein Eintreten gegen die
Wiederbewaffnung sowie die Veröffentlichung
einiger Texte auch im Ostteil Deutschlands kosteten
ihn die Sympathien auch einflussreicher
Literatur-Vertreter.
Dennoch konnte er sich in seinen letzten
Lebensjahren reicher Ernte erfreuen: Seine Werke
erschienen in Sammelbänden, seine
Theaterstücke wurden von prominenten
Häusern aufgeführt (Wiener Burgtheater),
er erhielt zahlreiche Preise, Anerkennungen,
Ehrendoktorwürden.
1956 krönte der Friedenspreis des Deutschen
Buchhandels diese positive Phase. Werner
Bergengruen hielt die Laudatio.
Glückwünsche kamen von Albert Schweitzer
aus Lambarene, von Hermann Hesse, von Romano
Guardini.

Der
2.04 Meter große Schriftsteller arbeitete am
liebsten stehend.
Reinhold Schneider hätte uns heute einiges zu
sagen, wenngleich frömmelndes Pathos die
Lektüre auch durchaus erschwert. Es bleibt zu
hoffen, dass sich jetzt Wissenschaftler finden, die
seinen noch weitgehend unerforschten Nachlass im
einzelnen genau unter die Lupe nehmen.
Badisches Tagblatt 11. April 2003
Abb. © Landesbibliothek
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