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Die Ehre des Hauses
Dass die Menschen doch immer
Schmutz auf alles Reine, Unbefleckte und
Würdevolle werfen mussten! Luise wusste, wie
sehr die leidige Kaspar-Hauser-Affäre und das
immer neue Aufrühren dieser unverschämten
Lügen in der Presse ihren Gemahl schmerzten.
Friedrich hegte keinerlei Zweifel: Seine Vorfahren
hatten die Verbrechen, die ihnen unterstellt
wurden, nie begangen. Er glaubte nicht daran, dass
der Sohn des Großherzogs Karl und seiner
Gemahlin Stephanie kurz nach seiner Geburt mit
einem lebensunfähigen Säugling vertauscht
wurde. Noch lächerlicher schien ihm der
Gedanke, dass der echte Prinz einsam unter
menschenunwürdigen Verhältnissen gefangen
gehalten und als Halbwahnsinniger plötzlich
freigelassen worden sein sollte. Für
völlig ausgeschlossen hielt er zudem, dass der
1828 in Nürnberg aufgetauchte Kaspar Hauser,
der vermeintliche badische Erbprinz, auf
Veranlassung des badischen Fürstenhauses
ermordet worden war. So rätselhaft Leben und
Tod des "Kindes von Europa" sein mochten - das Haus
Zähringen hatte nach Ansicht Friedrichs nicht
das Geringste mit seinem Schicksal zu tun. Luise
teilte selbstverständlich die Uberzeugungen
ihres Gemahls. Undenkbar, dass ein tugendhafter
Mann wie Fritz seinen Thron solch abenteuerlichen
Kabalen zu verdanken hätte. Gewiss, im Hause
Zähringen hatte es schon manchen
unschönen Skandal gegeben, über den ein
Christenmensch nur den Kopf schütteln konnte.
Aber von sittlichen Entgleisungen bis zu
Kindesentführung und Mord war es doch wohl ein
weiter Weg. Ein Weg, den die Zähringer, weder
die alten noch die neuen, niemals gegangen
wären.
Was Luise, die bei aller zur Schau getragenen
Sanftmut über ein heftiges Temperament
verfügte, besonders erboste: Diese
unsägliche Kaspar-Hauser-Geschichte brachte
Friedrich nicht nur international in Misskredit,
sie erschwerte ihrem Gemahl auch seine ohnehin
nicht einfache Aufgabe als Landesvater. Friedrich
arbeitete hart daran, dem Ansehen seiner durch die
revolutionären Ereignisse von 1848/49 schwer
angeschlagenen Dynastie wieder Geltung zu
verschaffen. Sein Pflichtbewusstsein war geradezu
legendär und sehr zur Freude der
sittenstrengen Luise überschattete nicht der
Hauch eines Skandals sein Privatleben. Nur das
Herrscherhaus, so vertraute Friedrich seiner
Gemahlin ziemlich salbungsvoll an, konnte in derart
schwierigen Zeiten als Klammer fungieren, die das
Volk zusammenhielt. Die Menschen in Baden mussten
endlich lernen, sich selbst als Badener zu
betrachten. Wer, wenn nicht ihr Großherzog
und seine Gemahlin, konnte in diesem aus
unzähligen kleinen Staaten und Herrschaften
zusammengewürfelten Land das Bindeglied sein,
auf welches das Volk voll Stolz und Verehrung
blicken konnte?
Und das badische Volk hatte wahrlich seine
Eigenarten: Zwei Drittel der Bevölkerung waren
katholisch. Die politische Offentlichkeit hingegen
dachte bürgerlich-liberal und stand damit im
kaum zu überbrückenden Gegensatz zur
Bevölkerungsmehrheit. Der Machtkampf zwischen
Staat und katholischen Interessenvertreter um die
Schulen, die nach Auffassung der Liberalen nicht
mehr aufs Himmelreich, sondern auf ein Leben in der
modernen Gesellschaft vorbereiten sollten, wurde
mit aller Härte geführt. Noch herrschten
in Baden landwirtschaftliche Strukturen vor,
während die industrielle Revolution bereits
gravierende gesellschaftliche Umwälzungen
einläutete. Scheinbar
unüberbrückbare Gegensätze, wohin
man auch blickte. Außerdem schwelte - wie
überall in Deutschland - die Frauenfrage, die
über kurz oder lang zum Großfeuer
auszuarten drohte.
Luise tat auf ihre Weise, was sie konnte, um die
politische Zeitbombe, die in Baden tickte, zu
entschärfen. Wie aber sollte die
großherzogliche Familie zu dem dringend
erforderlichen Integrationselement werden, wenn die
Kaspar-Hauser-Gerüchte ihr den Boden unter den
Füßen wegzogen? Der Großherzog
konnte es sich nicht leisten, dass man an der
Legitimation seines Hauses rührte.
Die höfischen Spielregeln im Umgang mit
Problemen waren denkbar einfach: Man ignorierte
sie. Wie geisteskranke Mitglieder der
Fürstenhäuser weggesperrt wurden, wie
sexuelle Ausschweifungen vertuscht wurden - so
deckte Großherzog Friedrich über die
Kaspar-Hauser-Legende den Mantel des Schweigens.
Eine Vorgehensweise, die das markgräfliche
Haus übrigens bis in die jüngste
Vergangenheit aufrecht erhielt. Es verweigerte
beispielsweise 1996 jegliche Mitwirkung, als die
blutverschmierte Unterhose des ermordeten Hauser
gentechnisch untersucht wurde. Diese Untersuchung,
die von den Medien groß ausgeschlachtet
wurde, hat letztlich ergeben, dass das Blut an der
Hose keinesfalls von einem Sohn der
Großherzogin Stephanie und damit auch nicht
vom badischen Thronerben stammen konnte.
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Großherzog
Friedrich verfügte nicht über Mittel der
Gentechnik, die wissenschaftlich einwandfreie
Resultate liefern konnten. Er befürchtete,
durch Erklärungen oder Entgegnungen radikalen
Schreiberlingen nur noch mehr Munition zu liefern.
Also bemühte er sich, Presseerzeugnisse zum
Fall Hauser aufzukaufen, um sie so vom Markt zu
nehmen. Was sich allerdings bald als Kampf gegen
Windmühlen erwies und oft genug als
Schuldeingeständnis des badischen Hauses
gewertet wurde. Friedrich biss die Zähne
zusammen und schwieg. Weder auf Schriften, die ihn
angriffen, noch auf ihm wohl gesonnene
Veröffentlichungen reagierte er.
Hinter den Kulissen versuchte Friedrich allerdings,
Entlastungsmaterial herbei zu schaffen. Aber selbst
amtliche Nachforschungen, zu denen sich Friedrich
freilich erst 1882/83 bereit fand, blieben
halbherzig und führten nicht zu Klarheit.
Energischer als ihr Mann ging Großherzogin
Luise das leidige Problem an. Allerdings
beschränkte sich ihr Engagement weitgehend auf
das Herbeischaffen und alsbaldige Vernichten von
Akten. Als intelligente Frau erkannte Luise
schnell, dass die meisten Unterlagen je nach
Interpretation sowohl zugunsten wie auch zum
Nachteil von Friedrichs Vorfahren ausgelegt werden
konnten. So bemühte sie sich zunächst
einmal, in den Karlsruher Archiven alle Unterlagen
über Kaspar Hauser sicher zu stellen.
Als das Großherzogenpaar 1867 die Pariser
Weltausstellung besuchte, knüpfte Luise
freundschaftliche Beziehungen zu Napoleon III. und
Kaiserin Eugenie. Sie soll diese persönlichen
Kontakte genutzt haben, um an französische
Akten über die Hauser-Affäre
heranzukommen. Viele Jahre später spannte sie
sogar ihren Neffen, Kaiser Wilhelm II. ein, um
belastende Schriftstücke an sich zu bringen.
Vor allem aber bekniete sie die Nachfahren der
Großherzogin Stephanie, eventuelles
Beweismaterial unbedingt dem Feuer zu
übergeben.
Eine zwielichtige Rolle spielte in dieser Beziehung
Lady Hamilton, eine Tochter Stephanies, die dank
Friedrichs Unterstützung aus gravierenden
finanziellen Schwierigkeiten herausgefünden
hatte. Offiziell stellte sie sich auf die Seite des
Großherzogenpaares, und im Jahr 1883
bestärkte sie Friedrich sogar eindringlich in
der Strategie des Schweigens: "Ich würde an
Deiner Stelle die Sache mit der größten
Verachtung behandeln, die Leute schreiben lassen,
aber ihnen nicht die Ehre machen, ihre Pamphlete zu
beantworten. Es kann ja doch nichts daraus
entstehen." Andererseits soll Lady Hamilton ein
Bild Hausers besessen haben, das sie ihren
Gästen mit der Bemerkung zeigte: "Das ist
Kaspar Hauser, mein unglücklicher Bruder.
Meine Mutter und ich waren immer überzeugt,
dass er mein Bruder war." Es gibt Hinweise darauf,
dass die 1888 verstorbene Herzogin mit voller
Absicht gegen das großherzoglich-badische
Paar intrigierte und immer neue
Kaspar-Hauser-Publikationen anregte, um diesem zu
schaden.
Was die Kaspar-Hauser-Legende anging, war Luises
lebenslanges Engagement vergebliche Liebesmüh.
Ließ sie hier Dokumente verschwinden,
tauchten an anderer Stelle wieder welche auf.
Trotzdem gab sie nicht auf: Selbst als die
Monarchie bereits der Vergangenheit angehörte,
bemühte sie sich noch, die Forschungen um den
Nürnberger Findling unter Kontrolle zu
behalten. Ohne Erfolg. Es mag ihr aber eine
Genugtuung gewesen sein, dass trotz aller
üblen Nachrede ihr Fritz nach der
Reichsgründung 1871 das wurde, was er immer
angestrebt hatte: eine badische Integrationsfigur,
ein Landesvater, dem selbst seine politischen
Gegner die Achtung nicht versagten. Und an seiner
Seite Luise, die Landesmutter, der ihre
preußische Herkunft zugleich Stolz und Last
war.
Annette Borchardt-Wenzel, Die Frauen am badischen
Hof, Gernsbach 2001, Seite 270 ff.

Die Frauen am badischen Hof. Gefährtinnen der
Großherzöge zwischen Liebe, Pflicht und
Intrigen.
Von Annette Borchardt-Wenzel.
388 Seiten, 20 Seiten mit Abbildungen.
Casimir Katz Verlag,
Gernsbach

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