Kaspar Hauser -
der Film
Am Pfingstmontag des Jahres 1828
wird der 12 Jahre lang in einem Nürnberger
Keller eingesperrte Kaspar Hauser freigelassen.
Etwa 5½ Jahre später stirbt er an einer
Stichwunde. Sein Fall gehört zu den
berühmtesten der deutschen Kriminalgeschichten
des 19. Jahrhunderts und hat schon zu seinen
Lebzeiten für ungeheures Aufsehen gesorgt.
Schon damals hieß es, dass er im
Frühjahr 1812 als Erbprinz des Hauses Baden
zur Welt gekommen ist und schon kurze Zeit nach
seiner Geburt im Auftrag der Gräfin Hochberg
entführt wurde, die so die Erbfolge ihrer
eigenen Linie sichern wollte.
Peter Sehr hat sich bei seiner Verfilmung des
Schicksals Kaspar Hausers für diese nie
zweifelsfrei bewiesene politische Interpretation
der Ereignisse entschieden. Sein Findling, den
André Eisermann eindrucksvoll
verkörpert, ist das Opfer einer verkommenen,
nur noch durch Intrigen und Machtmissbrauch
aufrechterhaltenen Politik. Die Adligen, allen
voran die Gräfin Hochberg (Katharina Thalbach
in ihrer vielleicht besten Kinorolle) und Ludwig
von Baden (Uwe Ochsenknecht), erinnern dabei an die
Herrschenden, die in den bürgerlichen
Trauerspielen Schillers und Lessings die Menschen
verderben und zugrunde richten.
Damit stellt sich Sehr mit seinem Film ganz bewusst
in die literarische Tradition, die zu Kaspar
Hausers Zeiten vorherrschte, und verleiht seiner
Fiktion neben der historischen auch eine
künstlerische Authentizität, nur dass bei
ihm das Bürgertum den Machenschaften des Adels
nichts entgegenzusetzen hat. Ein äußerst
düsteres Bild der Zeit entsteht, das zugleich
aber weit über die konkreten historischen
Ereignisse hinausgeht. Peter Sehr, der Elemente des
bürgerlichen Trauerspiels sehr Kino-wirksam
mit Thriller- und Melodram-Momenten verknüpft,
verwandelt Kaspar Hauser in ein zeitloses
Lehrstück über Macht, ihren Erhalt und
ihre Pervertierung.
Aber der Film besticht nicht nur durch seine
konsequente Inszenierung. Gernot Rolls
Kameraarbeit, die zwar auf Realismus angelegt ist,
aber zugleich mit ihren Stilisierungen Sehrs Ideen
in mächtige Bilder umsetzt, gehört
visuell zum Aufregendsten, was das deutsche Kino in
den 90ern hervorgebracht hat. (Sascha Westphal)
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